Neues Jahr, neue Chancen, neue Geschäftsfelder. Viele Landwirte nutzen den Jahreswechsel zum Nachdenken: Ist mein Betrieb für die Zukunft gut gerüstet? Wie kann ich künftig die Wertschöpfung meines Hofs steigern? Auf diese Fragen gibt es nicht nur eine Antwort – denn der Strukturwandel und die Diversifizierung der landwirtschaftlichen Betriebe werden nach Expertenmeinung weiter voranschreiten.
Schon heute ist Diversifizierung für viele Betriebe in Deutschland Realität. Deutlich erkennbar ist die dominierende Rolle der Energieerzeugung in der Landwirtschaft – sei es Photovoltaik, Wasserkraft, Biogas oder der Verkauf von Hackschnitzeln.
Konkrete Zahlen liegen für das Bundesland Bayern vor: Mehr als 36 Prozent aller landwirtschaftlichen Betriebe im Freistaat sind im Energiebereich tätig, so Hochrechnungen der Bayerischen Landesanstalt für Landwirtschaft (LfL). Das entspricht 31.000 Betrieben. Damit ist die Energieerzeugung das wichtigste Standbein der Betriebe mit Diversifizierung.
An zweiter Stelle stehen laut LfL-Studie landwirtschaftsnahe Dienstleistungen wie Winterdienst, Landschaftspflege oder Kehrarbeiten, mit mehr als 14 Prozent aller Betriebe. Und über zehn Prozent der befragten Landwirtinnen und Landwirte gaben an, Direktvermarktung oder Hofgastronomie anzubieten. Die Studie von 2021 zeigt auch, dass rund ein Drittel der Höfe mehr als einen Betriebszweig neben der Landwirtschaft haben.
„Es gibt nicht mehr die eine Landwirtschaft“
„Es gibt nicht mehr die eine Landwirtschaft. Das war vielleicht früher so, aber diese Zeiten sind vorbei. Die Landwirtschaft geht immer weiter in Richtung klassisches Unternehmertum, die eigenen Produktionskosten im Blick zu haben, wird zunehmend wichtiger”, sagt Dr. Michael Mederle, Leiter Agrar und Beratung im Kuratorium Bayerischer Maschinen- und Betriebshilfsringe. Der Strukturwandel werde die Landwirtschaft weiter verändern: Die Betriebe würden weniger und größer. “Der Strukturwandel wird Betriebe zurücklassen, für andere Landwirte bietet er aber auch eine Chance“, so Mederle.
Die starre Trennung auf der gleichen Fläche zwischen der Produktion von Nahrungsmitteln, der Energiegewinnung oder „Klimaleistungen” werde sich auflösen, so der Agrarexperte. Künftig gebe es auch „mehrere Ziele” auf einer Fläche, etwa eine Kombination aus Photovoltaik und Weidehaltung. Oder eine Mischung aus Hühnerhaltung und dem Anbau von Haselnüssen – so wie es Martin Stiegler aus Mittelfranken tut, der Landwirt des Jahres 2023.
Landwirt wird immer mehr Energiewender
Wie schon die Hochrechnungen der LfL aus Bayern zeigen, so geht auch Mederle davon aus, dass die Zahl der Landwirte im Energiebereich weiter zunehmen wird. Der Druck auf die Flächen nehme massiv zu, die Zielkonflikte sind enorm. In den vergangenen 20 Jahren hätten sich Biogasanlagen durchgesetzt, aber Biomasse sei nur ein Teil des Energiemixes, der für Landwirte interessant werde. „In der Agri-PV tut sich gerade sehr viel”, sagt Mederle.
Auch in der Windkraft stecke Potenzial für Landwirte, meint Marcus Vagt. Er ist Bereichsleiter Energie bei der Deutschen Landwirtschafts-Gesellschaft (DLG). Die Investitionen von landwirtschaftlichen Betrieben in erneuerbare Energie seien zuletzt wieder gestiegen – auch politisch sei der Ausbau von regenerativen Energien gewollt. Schließlich will man die ehrgeizigen Ausbauziele erreichen.
Inwieweit sich Investitionen in Windkraftanlagen lohnen, „ist von weiteren Faktoren, zum Beispiel Standort, regionaler Flächennutzungsplan und von der Eigentumsstruktur, Mieter oder Pächter, abhängig”, so Vagt.
Hürden für den Bau von Windrädern gebe es vor allem im Baurecht, etwa bei den Flächennutzungsplänen und darin ausgewiesenen Flächen. „Hinzu kommen Anforderungen im Bundesimmissionsschutzgesetz, Naturschutz sowie Öffentlichkeitsbeteiligungen. Außerdem kann eine Konkurrenz um Windkraftflächen seitens Grundeigentümern und Betreibern bestehen, mit kleinteiligen Eigentümer- und Betreiberrechtestrukturen“, so der Energiespezialist. Diese Hindernisse würden die „recht komplexen und zeitaufwendigen Planungs- und Genehmigungsprozesse” zusätzlich erschweren.
„Direktvermarkter haben Zügel weitgehend selbst in der Hand”
„Zumindest bei Photovoltaik besteht aus rechtlicher Sicht derzeit mehr Planungssicherheit als in der klassischen Viehhaltung“, sagt Agrarexperte Mederle.
„Es ist im Moment schwierig bis unmöglich, in die Schweinehaltung zu investieren”, sagt er. Landwirte, die ihre Vermarktung nicht selbst in der Hand haben, müssen die Preise des Weltmarkts akzeptieren. Eigene Mitbestimmung? Fehlanzeige.
Hinzu kommt die Konkurrenz mit Großbetrieben besonders aus Osteuropa, sagt der Agrarprofi. Ein zentraler Hebel in der Außenwirtschaft, den Deckungsbeitrag dennoch zu steigern: die Kosten für Maschinen zum Beispiel über Kooperationen oder Gemeinschaften senken.
Anders ist die Situation bei Direktvermarktern, sie haben die Zügel weitestgehend selbst in der Hand, sagt Mederle. „Landwirte, die in Nischen produzieren, können ihre Vermarktung selbst mitbestimmen und gestalten. Dadurch erhöht sich die Wertschöpfung in der Tiefe.“
Besonders die Direktvermarktung von Eiern habe in den vergangenen Jahren geboomt. „Das heißt aber nicht, dass nun zwei Drittel der Betriebe auf die Direktvermarktung von Eiern umstellen.” Eine erfolgreiche Direktvermarktung hänge von verschiedenen Faktoren ab, von der Region, dem Marktpotenzial vor Ort und vor allem von der Persönlichkeit des Betriebsleiters. „In der Rhön gibt es eine andere Käuferschicht als im Speckgürtel von München“, so Mederle. „Und nicht jeder Landwirt eignet sich als Direktvermarkter.“
Bildnachweis: Karina Buller